„Wir waren immer die erste Wahl“

In Teil zwei des Interviews mit Isabelle Vivianne lesen Sie Antworten auf Fragen wie: Welche Chancen beschert die Generation Z der Arbeitswelt? Karriere mit Lehre: Wie kann sich das Holz-Handwerk wieder als erste Wahl qualifizieren? Und stimmt das Image der Möbelbranche mit der Realität überein? „Die.Tischlerin“ ist als Craftfluencerin mit rund 100.000 Followern auf Social Media sehr erfolgreich und hat uns fürs Interview in ihrer Hamburger Werkstatt empfangen.

Isabelle Vivianne ist als „Die.Tischlerin“ auf Social Media bekannt.

Isabelle Vivianne, auf Instagram, TikTok und YouTube sprechen Sie unterschiedliche Zielgruppen und Altersstufen an. Was sieht die jeweilige Community aus?

TikTok ist deutlich jünger als Instagram. Trotzdem habe ich dort auch eine Zielgruppe, die bei den 17- bis 18-Jährigen anfängt. Mit Instagram fühle ich mich am wohlsten, da habe ich die meisten Follower. Wobei ich meine Community auf TikTok auch liebe. Beide überschneiden sich, sind fließend. Etwa weil sich Eltern heute ein Beispiel an ihren Kindern nehmen, TikTok runterladen und selbst ins Scrollen kommen. Die einzelnen Plattformen erfordern unterschiedlichen Content. Ob kurz oder länger – beim Inhalt geht es um Qualität. Prominente Beispiele wie „7 vs. Wild“ auf YouTube zeigen, dass elf Millionen junge Leute das eine Stunde lang linear gucken, weil es gut gestaltet ist.

Sind Sie beim Aufbau Ihrer Social-Media-Kanäle strategisch vorgegangen?

Bevor ich professionell gestartet bin, habe ich mir eine Corporate Identity aufgebaut. Unterm Strich bin ich allerdings viel weniger strategisch, als man vielleicht vermutet. Vieles funktioniert instinktiv. Ich fühle rein, probiere aus, mache ein Video und gucke, wie´s läuft. Wenn man als Person ein Interesse, eine subjektive Wahrnehmung hat, muss sich das gar nicht mit dem der Masse decken. Manchmal ist es erstaunlich, was gut geclickt wird und was nicht. Als Angehörige der Gen Z habe ich viele Tools quasi in die Wiege gelegt bekommen. Wenn sich ein Update ändert, weiß ich sofort, was zu tun ist. Auch kann sich ein Influencer als Unternehmen sehen und sogenannte Collabs (Collaborations) eingehen. Manche arbeiten mit Sneaker-Herstellern zusammen. Für Letztere ergibt sich dadurch mehr Interesse, weil Influencer Reichweite bringen und Verkaufszahlen steigern. Auf so etwas arbeite ich auch hin: So würde ich gern mit bestimmten Unternehmen irgendwann eigene Möbel rausbringen.

Stichwort Social-Media-Marketing: Haben Sie ein paar Tipps für Schreiner- und Tischler-Betriebe?

Das Ziel sollte nicht lauten: „Ich möchte möglichst viele Follower haben“. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Frage: Wen will ich erreichen? Wieviele Menschen gibt es davon? Nicht auf Masse zu gehen also, sondern sich auf die Zielgruppe auszurichten, den Zuschauer zu visualisieren, der sich für den Content interessiert. Und klar definieren: Was will ich damit erreichen, mich auf Social Media zu bewegen? Möchte ich mehr Aufträge generieren? Möchte ich Fachkräfte oder Azubis finden? Danach richte ich dann den Content aus. Eine ausgebildete Fachkraft etwa kennt ihren eigenen Wert und will über die Kanäle erfahren: Was genau bekomme ich in diesem Betrieb? Der Azubi hingegen möchte vielleicht erstmal vom Beruf überzeugt werden. Ansonsten kann man mir immer über LinkedIn schreiben. Ich biete Schulungen an für Betriebe, die in ihrer Social-Media-Präsenz weiterkommen wollen – ohne gleich eine große Agentur zu buchen. Und ich glaube, als Influencerin mit rund 100.000 Followern in dem Bereich und Angehörige der Gen Z habe ich ein gutes Wissen aufgebaut, um zu unterstützen und die Angst davor zu nehmen. Wer einen Betrieb leiten kann, der wird auch Instagram bedienen können.

Wie weit sind diese Betriebe denn im Bereich der sozialen Medien?

Es gibt da eine große Kluft zwischen denjenigen, die weit sind, und denjenigen, die noch nicht mal eine Website haben. Oft erlebe ich, dass die ältere Generation die jüngere, digital affine ausbremst. Nach dem Motto „Du musst noch so viel lernen“. Das ist schade, weil beide ihre Kräfte bündeln könnten. Deswegen spreche ich so viel über die Gen Z und den Austausch unter den Generationen. Ich würde mir mehr Zusammenarbeit wünschen. Dieses Aneinander-Reiben ist unnötig: Unternehmen, in denen Geschäftsführer ihre Söhne oder Töchter mitmachen lassen – die haben Erfolg. Genau da zeigt sich, wie toll es laufen kann, wenn man die jüngere Generation mit ins Unternehmen lässt.

Im Gegensatz zum Handwerk ist die Zielgruppe der Möbelproduzenten nicht der Endkunde, sondern der Möbelhandel. Welche Strategie ist für die Industrie empfehlenswert?

Die beste Strategie ist auch hier, Follower zu generieren, weil das Unternehmen damit interessanter wird. Um aber Genaueres sagen zu können, müsste man sich mit dem jeweiligen Möbelhersteller und seiner Geschichte tiefer auseinandersetzen. Dann gibt es bestimmte Hebel, um daraus eine Story zu machen, eine Strategie, eine Corporate Identity aufzubauen. In diesem Bereich würde ich eher auf LinkedIn setzen, wo sich das Unternehmen mit Zahlen präsentieren kann. Damit die Einkäufer die Entscheidung treffen, die Möbel in großer Masse abzunehmen und in ihren Häusern zu verkaufen.

Die Möbelbranche wird von manchen als träge und konservativ beschrieben. Teilen Sie dieses Bild?

Von außen wirkt es vielleicht so. Wenn man sich darin befindet, stimmt es nicht. In der Möbelbranche trifft man viele lebenslustige Menschen, die Freude an dem haben, was sie tun, denen man anmerkt, dass das für sie sinnhaft ist. Aber machen wir uns nichts vor: Das Außenbild spielt eine große Rolle. Daher sollten wir uns nach außen als das zeigen, was wir wirklich sind. Ich könnte mir keine schönere Branche vorstellen, um darin unterwegs zu sein. Die Möbelbranche ist eine, die ehrlich ist. Wenn man hier einen Handschlag tauscht, kann man sich – anders als in der Finanzwelt oder der Medienbranche – darauf verlassen, dass es genauso gemacht wird. Darauf bin ich sehr stolz und hoffe, dass sich das nicht allzu bald ändert.

Fürs Interview hat Isabelle Vivianne der HK die Türen ihrer Werkstatt geöffnet. Foto/Interview: Julia Gottschick

Auf welche Weise kann man heutzutage den Nachwuchs für das Handwerk begeistern?

Indem man den Arbeitsalltag und verschiedene Bereiche aus dem Berufsfeld vorstellt. Meist schleift der Tischler ja nicht den ganzen Tag Sachen, sondern ist auch im Büro, zeichnet, nimmt Aufmaß, kommt mit Kunden in den Austausch, stellt Rechnungen, baut und schneidet zu. Es verbergen sich soviele Facetten hinter diesem Beruf, von dem junge Menschen gar nichts wissen.

Stichwort „Karriere mit Lehre“: Wie können sich das Holz-Handwerk und die Möbelindustrie wieder als erste Wahl qualifizieren?

Wir müssen uns eins bewusst machen: Aus gesellschaftlicher Perspektive waren wir immer die erste Wahl. Denn der Stuhl, auf dem Du sitzt, der Tisch, an dem wir essen, das Haus, in dem wir leben – das ist alles die erste Wahl für einen Menschen. Wir müssen unseren Stellenwert nach außen tragen und klar aufzeigen, wie sehr wir das Rückgrat dieser Gesellschaft sind. Damit Regierungen den Fokus wieder richtig setzen. Das müssen wir einfordern, geschenkt wird uns das nicht. Da dürfen wir lauter, fordernder, direkter sein. Ich könnte mir gut vorstellen, selbst die Möbelverbände dahingehend zu unterstützen, und würde gern mit Verbandsvertretern darüber ins Gespräch kommen.

Welche Chancen und Herausforderungen beschert die Gen Z in Ihren Augen der Arbeitswelt?

Die Chancen liegen klar in der Digitalisierung, darin, dass die junge Generation damit aufgewachsen ist und viel natürlicher damit umgeht. Für Unternehmen bietet das die Möglichkeit, leichter Fuß zu fassen. Die Gen Z ist zudem darauf bedacht, Prozesse zu optimieren, um Zeit zu gewinnen. Die möchte sie teilweise als Freizeit nutzen, was meiner Meinung nach komplett okay ist. Wenn der Unternehmer schlau ist und das gestattet, bekommt er eine Produktionssteigerung zurück.

Muss man mit der Gen Z auch manchmal Geduld haben?

Ja, diese Generation steigt gerade erst ein ins Berufsleben und muss sich noch finden. Da gilt es, den jungen Leuten in der Ausbildung zu gestatten, Fragen zu stellen. Und ihnen zu zeigen, wie viel Spaß das Berufsleben machen kann. Dass es toll ist, mit Menschen und auch der älteren Generation in den Austausch zu kommen. Es muss nicht rund um die Uhr Homeoffice sein. Doch was die Work-Life-Balance angeht, spricht die Gen Z das aus, was sich viele Ältere nicht getraut haben. Und fordert es auch ein, weil sie den Luxus hat, auf einem Arbeitnehmer-Markt unterwegs zu sein. Das war längst überfällig. Unterm Strich profitieren alle davon.

Gibt es Beispiele, in denen die Generation Z zum Wachstum von Unternehmen beigetragen hat?

Auf jeden Fall! Ich bin sehr stolz auf meine Generation, dass sie so mutig ist und Verantwortung für eine ganze Gesellschaft übernimmt. Die Gen Z ist mitten drin, die Arbeitswelt zu wandeln. Entweder, man geht mit und versucht, eine gute Kommunikation auf beiden Seiten aufzubauen. Oder man wird es als Unternehmen schwer haben. Ich sehe heute schon etliche Gen-Z-geführte Unternehmen, die nicht „9 to 5“ arbeiten und jedes Jahr unfassbare Einnahmen erzielen. Das kann also funktionieren.

Das gesamte Interview lesen Sie in der HK 5/24

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