Reshoring sorgt für Investitionen

Wer mehr über die nordamerikanische Möbel- und Zulieferindustrie erfahren will, muss mit Branchenkennern sprechen, die jenseits des Atlantiks sitzen. Martin Kintscher ist einer davon. Der Leiter des Teams von Schuler Consulting in den USA betreut seit 2017 den amerikanischen Markt. „Der Trend zur Rückverlagerung der Produktion setzt sich fort. Trotz Fachkräftemangel verfolgen viele US-Unternehmen diesen Weg und sind bereit zu investieren“, erklärt er.

Martin Kintscher ist Senior Manager Amerika bei Schuler Consulting (Interview: Markus Schmalz/Fotos: Schuler Consulting).

Herr Kintscher, die IWF 2022 stand noch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Wie hat sich der US-Markt seither verändert?

Die Pandemie hat zu spürbaren Nachwirkungen geführt. Angefangen mit Lieferengpässen bei Rohstoffen, gefolgt von einem Mangel an Arbeitskräften und dem daraus resultierenden Trend zur Automatisierung. Heute scheinen die Lieferengpässe größtenteils überwunden, das Material ist wieder verfügbar und die zuvor aufgebauten Sicherheitsbestände können reduziert werden. Einige Hersteller sind jedoch noch zögerlich und halten teilweise an erhöhten Lagerbeständen fest. Die Lieferengpässe haben das Problem der Abhängigkeit von internationalen Lieferanten verdeutlicht, was zur Folge hat, dass Importe reduziert und mehr in Nordamerika produziert wird – sei es bei Küchen oder zerlegten Wohnmöbeln. Ein Trend ist das sogenannte „Reshoring“ mit einem Fokus auf flexible Automatisierung.

Sie haben den Mangel an Arbeitskräften angesprochen. Welche Folgen hat dieser für die Unternehmen?

Der Arbeitsmarkt in den USA ist durch Corona geschrumpft, was sich als langfristiger Effekt zu etablieren scheint. Das hat dazu geführt, dass Unternehmen Sonderzahlungen leisten und im Schnitt um 10 Prozent höhere Gehälter bezahlen als vor zwei Jahren, um Mitarbeiter zu gewinnen. Besonders für qualifizierte Mitarbeiter sind die Unternehmen bereit, Prämien anzubieten, da in Nordamerika nach wie vor Erfahrung eine entscheidende Rolle spielt und es zum Beispiel kein duales Ausbildungssystem gibt.

Können Sie uns die Struktur der US-Küchen- und Möbelindustrie erläutern? Was sind die typischen Betriebsgrößen und Reichweiten?

In den USA existiert weiterhin ein starker Binnenmarkt mit einem Volumen von 76 Milliarden US-Dollar für Küchenschränke und einem prognostizierten jährlichem Wachstum von rund 5 Prozent. Das Gesamtwachstum in den nächsten fünf Jahren wird auf bis zu 25 Prozent geschätzt. Die Bevölkerungs- bzw. Nachfragedichte führt zu kleineren, weniger zentralisierten Herstellern von Privatküchen. Wir sprechen also von einem fragmentierten Markt mit geringer Konsolidierung. Die Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Hersteller ist abhängig von Qualität, Preisstruktur und Lieferketten. Zusätzlich stellen kurze Versandwege häufig einen Wettbewerbsvorteil dar. Bei vielen dieser Betriebe handelt es sich, im Gegensatz zum europäischen Markt, nicht um seit Generationen geführte Familienunternehmen, sondern um eher junge Unternehmen mit einer vergleichsweise geringen Erfahrung und Marktetablierung. Durchschnittlich beschäftigen die Möbelhersteller in den USA rund 30 Angestellte und erwirtschaften einen Jahresumsatz von 6 Millionen US-Dollar.

Im nordamerikanischen Markt sind sogenannte „Closets“ – also separate Schränke, etwa in Wandnischen – weit verbreitet.

Welche Trends gibt in den USA?

Die Hersteller richten ihr Produktportfolio an der Kundennachfrage aus, die in den USA weiterhin – anders als in Europa – mehrheitlich von klaren Linien und reduziertem Design abweicht. In Nordamerika werden zum Großteil Küchen mit Massivholzrahmen und Massivholzfronten in Form sogenannter „Face frame Kitchen“ nachgefragt. Auf Grund der daraus resultierenden Produktanforderungen und oftmals größeren Entfernungen zu den Zulieferern ist die eigene Fertigungstiefe in der Regel größer als in Europa. Von der Massivholzbearbeitung über die Plattenfertigung bis zur Oberfläche gehört fast alles dazu – selbst bei kleineren Produzenten.

Im nordamerikanischen Markt sind auch sogenannte „Closets“ weit verbreitet, also separate Schränke, die beispielsweise in Wandnischen eingebaut sind. Ist das nach wie vor ein Trend oder werden mittlerweile eher Kleiderschränke, also „Wardrobes“, hergestellt und verkauft?

Closets sind ein stark nachgefragtes Produkt, das in vielen Varianten angeboten wird. Kleiderschränke, wie sie in der EU üblich sind, sieht man nicht so oft, da Häuser weiterhin mit einem sogenannten „Walk-In Closet“ konzipiert werden, also ein Teil des Raums hierfür abgetrennt wird, oft mit einer Wand und einer Schiebetür. Populär sind auch Varianten für Garagenregale. Eine typische Closet-Produktion besteht meist aus Zuschnitt, Bekantung und Bohren. Solch eine Produktion ist in ihren Investitionsanforderungen überschaubar und deswegen auch für kleinere Hersteller sehr attraktiv. Diese Hersteller agieren oft über ein Franchise-System, das den Endkunden die Closets über Online-Konfigurationen und Showrooms präsentiert.

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